Warten auf Weihnachten

 
Das erste Türchen wurde geöffnet und dies läutete wie jedes Jahr die Adventszeit ein. Eine zauberhafte Zeit, in der es scheint, als würden die Uhren viel langsamer ticken als sonst. Zumindest empfinden das die leuchtenden Kinderaugen, die sich ihre kleinen Nasen an den hellbeleuchteten und bunt geschmückten Schaufenstern der Stadt regelrecht platt drückten, um sich in eine andere, verspielte Welt zu träumen. Die Zeit der Weihnachtsmärkte war angebrochen und ein köstlicher Duft von Gebäck und Leckereien lag in der Luft. Überall erklangen leise, stimmungsvolle Töne und Gesang. Die Weihnachtszeit, so magisch und schön sollte vor allem für eine Familie eine ganz besondere werden. 
 
Hexe Tini huschte mit schnellen Schritten über einen der Märkte. Die Jacke und den Schal so hoch gezogen, dass nur noch die Nasenspitze heraus schaute. Ihre Hände waren tief in den Taschen vergraben und auch ihr Hexenhut versteckte regelrecht ihren Blick. Es war kalt geworden, eisig sogar, aber Schnee war noch keiner in Sicht. Auch die kleine, pummlige Hexenmutter mochte die Märkte, besonders die historischen, die mittelalterlich angehaucht waren.
 
Hier konnte sie nach Herzenslust stöbern und nach auserwählten Zutaten Ausschau halten, die sie für einen ganz besonderen Weihnachtszauber dieses Jahr benötigte. Am ersten Tage des Monats Dezember brauchte sie getrocknete Gewürznelken, die sie auch schnell fand. Nach einem netten, aber doch langen Plausch mit der Verkäuferin machte sie sich wieder auf den Weg zurück zu ihrer Hexenkutsche, um nach Hause zu fahren, denn schließlich mussten ihre Hexenkinder von der Schule und dem Kindergarten abgeholt werden. 
 
Als sich die Kutschentüre wie von Zauberhand öffnete fiel ihr ein Gegenstand auf, der beim Einparken noch nicht dort war. Ein großer, runder Stein hatte es sich auf dem Sitzpolster scheinbar bequem gemacht. „Merkwürdig. Du warst doch vorhin noch nicht da?!“ wunderte sich Hexe Tini und betrachtete den Stein etwas genauer. Er fühlte sich an wie ein ganz normaler Stein. Er war schwer, grau aber hatte dennoch etwas Besonderes an sich; nämlich einen kleinen braunen Fleck, an der Unterseite. Anstatt den Stein einfach wegzuwerfen nahm sie ihn mit, wer weiß, vielleicht mochten ihre Hexenkinder diesen ja bemalen, bekleben und verschönern, das machten sie schließlich gerne.
 
Das zweite Türchen wurde geöffnet und nicht nur das, auch die Flamme erste Kerze brannte munter vor sich her und stimmte die Vorweihnachtszeit fröhlich mit ein. Die Hexenkinder waren fleißig, denn sie hatten den großen, schweren, grauen Stein noch am Vorabend etwas aufgehübscht. Ein kräftiges pink mit blau sollte es nach reichlicher Überlegung sein. Hexenmama Tini war zufrieden aber noch in der Nacht geschah etwas, was für einen bloßen Stein unüblich war; er bewegte sich. Nicht lang, nur ganz kurz und hätte die Hexe nicht genau gewusst das es so war, sie hätte es glatt übersehen können.
 
Wieder und wieder wurde der Stein in der Hand gedreht und dabei festgestellt, das er auch immer wärmer und wärmer wurde. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung, Hexe Tini fand ihn jedenfalls sehr schön. Eines jedoch fehlte, der Stein roch nach nichts. "Wenn er schon im Hause ist, dann soll er aber auch gut riechen." Fand die Hexe und schaute ihre Spösslinge dabei an. "Es weihnachtet, wie wäre es wenn der Stein nach Zimt und Wintergewürzen riechen würde? Lasst uns etwas zaubern!"
 
Gesagt, getan. Mit einem ausgedachten und hoch komplizierten Hexspruch wurden feine Gewürze herbei gezaubert und den pinken Stein damit gut eingerieben. Nun duftete es herrlich auch im ganzen Haus. Als die Hexenfamilie am Nachmittag fort waren und am Abend wieder kamen war erneut etwas merkwürdiges geschehen; der pink und blau farbene, wohlig duftende Stein klopfte. Nicht lang, auch nur ganz kurz und so unscheinbar leise, dass man es hätte glatt überhören können.
 
So klopfte Hexenmama Tina einfach mal nach der großen Verwunderung aller zurück, aber nichts geschah. Ebenfalls nur eine Einbildung? Zusammen mit den Hexenkindern konnte nun diskutiert werden, was mit dem Stein passieren solle. Bleibt er im Hexenhaus, oder muss er raus zu den anderen im Garten, die Entscheidung sollte keine einfache werden.

Das dritte Türchen öffnete sich und es wurde immer zauberhafter im kleinen Hexenhaus. Der Baum war bereits geschmückt und erleuchtete in magischen Farben. Aus den Zimmern der Kinder ertönten schöne Weihnachtslieder, die auch gerne mal etwas umgestimmt wurden, damit sie lustiger erklangen. Was noch fehlte waren selbstgebackene Kekse. Zwar hatten die Kinder mit Oma und Opa bereits bunte Plätzchen gezaubert, doch in der eigenen Küche blieb der Ofen bislang kalt. Das sollte sich aber natürlich auch bald ändern.

Bunt war auch der Rest des Hexenhauses; die Wände glitzer- und schimmerten fröhlich und auch die Katzen hatten ihren Spaß an den hübschen Kugeln, die munter an den Regalen herunterhangen. Eine Sache jedoch war noch immer komisch; der Anblick des Steines, der nun zwar mit seinen Farben und Duft gut in die Weihnachtskulisse hinein passte, aber immer noch einige Rätsel mit sich brachte.

Der Stein war nämlich mal hier, mal dort, mal ganz woanders und dann wieder an seinem Platz. „Das muss mit Zauberei zu tun haben!“ War die pummlige Hexe Tini überzeugt. Aber wer würde denn einen Stein verzaubern und aus welchem Grund? Oder es war gar kein Stein, wie man dachte? Auffällig war, dass der Stein immer dann ins Rollen kam, wenn Weihnachtsmusik erklang! Vielleicht ging tatsächlich irgendein Zauberspruch mal wieder gehörig in die Hose aber das konnte nur in Erfahrung gebracht werden, wenn man sprichwörtlich das Probieren über studieren stellte und es einfach mal testete.

Mit den Hexenkindern zusammen würde das sicher ganz einfach gehen, also wurde nach einem geeigneten Lied Ausschau gehalten, um zu sehen, was mit dem eigenwilligen, pinkblauen und wohlig duftenden Stein geschehen würde.

Die Türchen der Adventskalender öffneten sich täglich. Das vierte, das fünfte und das Sechste sollte ein ganz besonderes werden. Je mehr das kleine Hexenhäuschen weihnachtlich geschmückt und ein Lied nach dem anderen gesungen wurde, desto größer und größer wurde der merkwürdige Stein. Zwei neugierige Augen schauten aus diesem hervor, erkundeten neugierig die Umgebung und der Stein tanzte, rollte vergnügt bei jedem Lied über den geschmückten Tisch. Die Hausbewohner, egal ob Märchenhexe, Kind, Drache oder Katze, ja sogar die Hausmäuse hatten alle Hände zutun auf das Steinwesen aufzupassen, damit es nicht vom Tisch hoppste.

Am sechsten Tage des zwölften Monats sollte allerdings etwas geschehen, womit keiner gerechnet hatte. Nikolausmorgen. Noch war es dunkel auf den Straßen und in den Häusern. Fast alle Kinder waren an diesem Tag zu Frühaufstehern geworden und schlichen sich mucksmäuschenstill zu ihren geputzten Stiefeln, um nachzusehen, ob der Nikolaus schon da war. Da freuten sich die lieben Kleinen über Schokolade, Mandeln, Nüsse, Mandarinen und andere Leckereien. Manche mögen auch ein kleines Geschenk dabei gehabt haben und im kleinen Hexenhäuschen war dieser besondere Morgen genauso aufregend, da eine ganz besondere Überraschung in der Wohnstube wartete.

Hexenmama Tini stieg die Treppen hinunter, schlängelte sich durch die spielenden Kinderchen und traute unten angekommen ihren Augen kaum. Die Lichterketten brannten helle und vor dem schön geschmückten Weihnachtsbaume saß ein kleiner, brauner Jungdrache, der noch unbekannt war. „Na, wer bist denn du?“ Fragte die Märchenhexe und begrüßte den kleinen Neuankömmling vorsichtig. „Spekulatius bin ich. Ihr habt mir diesen Namen gegeben und mich im warmen behalten.“ Da war nun eindeutig klar, dass der Stein wirklich keiner war. An diesem Nikolaustag geschah ein kleines Wunder; Spekulatius schlüpfte aus seinem Drachenei.

Da eilten nun auch die Hexenkinder schnell herbei! Vergessen waren die Leckereien aus den Stiefeln, der kleine, braune Weihnachtsdrache eroberte schnell die Herzen aller, vor allem seine hübschen Drachenschuppen an den Flügeln, die bunter nicht hätten sein können und wie helle, stimmungsvolle Winterglöckchen klingelten waren etwas ganz besonders!

 
PLATZHALTER
 
 

Viele Stuben waren nun hell erleuchtet und warm leuchtende Lichterketten hauchten bunt geschmückte Tannenbäume förmlich Leben ein. Die Winterzeit verzauberte immer mehr und es verging kein Tag, an dem der kleine Weihnachtsdrache Spekulatius nicht hoch erfreut vor dem schönen, großen Baume im Hexenhäuschen stand und sich an seinem Antlitz hoch erfreute.

Er spiegelte sich in den großen, runden Kugeln, die fröhlich am Tannenbaum baumelten und mit einem leichten Schubs ins Wanken kamen. „Was hat es nun eigentlich mit diesem Brauch auf sich?“ Wollte der kleine Winterweihnachtsdrache neugierig wissen und die pummelige, freche Hexe Tini erklärte.

„Der Brauch, sich einen Tannenbaum ins Haus zu holen ist schon sehr, sehr alt. Schon vor vielen Jahrhunderten waren immergrüne Pflanzen in heidnischen Kulturen ein Symbol für Fruchtbarkeit und Lebenskraft. So haben die Germanen Tannenzweige zur Wintersonnenwende an öffentlichen Orten und vor ihren Häusern platziert. Strom und Licht, wie wir heute haben, gab es damals nicht. Die Winterzeit war immer sehr dunkel und die Menschen hatten auch Angst, dass Bäume und Felder keine Blätter oder Früchte mehr tragen könnten. Daher holten sie sich etwas Lebendiges, Grünes ins Haus.

In nördlichen Gebieten wurden im Winter Tannenzweige ans Haus gehängt, um böse Geister draußen zu lassen und die Hoffnung auf den nächsten Frühling zu nähren. Im Mittelalter wurden sogar ganze Bäume zu bestimmten Festlichkeiten, wie zum Beispiel den Maibaum, geschmückt. Im Mittelalter wurden dann die ersten Bäume geschmückt. Der Brauch wurde Jahr für Jahr wiederholt und ist bis heute geblieben. Die Tradition einen Weihnachtsbaum in die Wohnstuben zu holen und zu schmücken hatte hier in Deutschland seinen Ursprung.“

Der kleine Drache lauschte aufmerksam und stellte sich vor, wie die düsteren Wintertage wohl im Mittelalter gewesen waren. Gemeinsam mit den Hexenkindern sprachen sie über die längst vergangene Zeit, ohne Licht und Strom aus der Steckdose, ohne das Hören von Winterliedern auf Knopfdruck. Erstaunt wie sich die Welt verändert hatte, war es noch so erstaunlicher, dass manche, uralte Ereignisse trotzdem geblieben sind.

 


 

 

 

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